Crossing Cultures – Der Farbholzschnitt in Europa und Japan 1900-1950

Crossing Cultures – Der Farbholzschnitt in Europa und Japan 1900-1950

Der Holzschnitt ist eine der ältesten Drucktechniken der Menschheit und bereits um das Jahr 200 entstanden einfache Drucke in China. Beginnend mit der Massenproduktion von Papier ab circa 1400 fertigte man künstlerische Holzschnitte in Europa an. Aufgrund der niedrigen Herstellungskosten der Drucke, im Gegensatz zu Gemälden, war es erstmals einer breiten Bevölkerungsschicht möglich, Bilder zu erwerben. Gezeigt wurden zuerst religiöse Motive, Gebetstexte und unter den Eindrücken der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts hat man medizinische Ratschläge auf diesem Weg veröffentlicht. Zu Anfangs wurden nur einzelne Seiten bedruckt und später folgten sogenannte Blockbücher, bedruckte Einzelblätter zu Büchern mit bis zu 50 Seiten gebunden. Allgemein galten Holzschnitte nicht als Kunstwerke, sondern als eine günstige Form der Reproduktion von Bildern und Schriften, es waren Gebrauchsgegenstände. Aufwendige Werke waren Ausnahmen. In der Zeit der Renaissance schufen unter anderem Michael Wolgemut, Erhard Reuwich und Albrecht Dürer Drucke, die sowohl handwerklich wie auch künstlerisch, herausragende Meisterwerke darstellen.

Mit der Erfindung der Druckpresse circa 1450 durch Johannes Gutenberg und der Verbreitung des modernen Buchdruckes wurden Holzschnitte nicht mehr zum Druck von Schriften benötigt und gerieten in den Hintergrund, denn das neue Druckverfahren mittels beweglicher Lettern war kostengünstiger und effizienter. War bisher das gedruckte Bild von zentraler Bedeutung, so war es nun die Schrift. Dazu kam die Weiterentwicklung des Kupferstiches, mit dem ein bisher nie da gewesener Detailreichtum auf Papier gedruckt werden konnte. Somit geriet der Druck mittels Holzschnittes als künstlerische Ausdrucksweise stark in Vergessenheit und wurde nur noch aufgrund der Haltbarkeit der Holzschnittplatten für Drucke mit sehr hoher Auflage oder billiger Flugblätter verwendet.

In Japan nahm die Entwicklung des Holzschnittes, übersetzt Mokuhanga, einen anderen Verlauf.

Die abgeschiedene geografische Lage und Isolationspolitik Japans bis in die Jahre um 1860 herum, sorgte für einen nur geringen ausländischen, beziehungsweise westlichen, Einfluss auf die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Ab dem 8. Jahrhundert entstanden die ersten Drucke, ähnlich wie in Europa in Klöstern, wobei hier buddhistische Texte und Bilder vervielfältigt wurden.

Mit dem Beginn der Edo-Zeit ab 1603 begann eine über 250 Jahre anhaltende Periode des Friedens in Japan und bereits um das Jahr 1600 entstanden die ersten kommerziellen Verlage für Unterhaltungsliteratur, die mit dem Vertrieb von Holzschnitten begannen. Mit dem Entstehen einer wohlhabenderen Stadtbevölkerung war es mehr Leuten möglich, Geld und Zeit für Kunst und Unterhaltung zu verwenden. Das in dieser Zeit aufkommende Genre, bei dem sich der günstig reproduzierbare Holzschnitt als perfektes Ausdrucksmittel anbot, um das Lebensgefühl der städtischen Bevölkerung zu vermitteln, wurde unter dem Namen Ukiyo-e bekannt. Übersetzen lässt sich Ukiyo-e mit „Bilder der fließenden Welt“ und umfasst als Sammelbezeichnung nicht nur den japanischen Farbholzschnitt, sondern auch Gemälde mit den typisch für die Edo-Zeit gezeigten Darstellungen hauptsächlich von Alltagsszenen, Schauspielern des Kabuki (dem japanischem Volkstheater), schönen Frauen, Motiven aus Volkserzählungen, Landschaftsbildern und sogar erotische Szenen. Waren die ersten Holzschnitte noch schwarz-weiß gestaltet, wurden sie später von Hand koloriert und ab der Mitte des 18. Jahrhunderts mehrfarbig gedruckt. Dabei müssen unterschiedliche, für jede Farbe eine, Druckplatten hergestellt werden. Die Entwicklung des Holzschnitts machte in dieser Zeit starke Fortschritte, wobei das Verfahren über viele Jahrzehnte hinweg meisterhaft perfektioniert werden konnte.

Grund hierfür war die hohe Nachfrage und Popularität in der Bevölkerung und im Rahmen dessen die Entstehung einer ganzen Industrie, in der arbeitsteilig Drucke entstanden. Es gab eine Vielzahl an Verlagen, die Drucke in Auftrag gaben, die wiederum von Künstlern gestaltet und schlussendlich von Tausenden hoch spezialisierten Holzschneidern und Druckern angefertigt wurden. In den Druckwerkstätten versammelten sich Kunsthandwerker, die mehrere Jahre dafür benötigten die Fähigkeiten zu entwickeln herausragende Drucke zu erstellen und ihr gesamtes Berufsleben dem Ziel widmeten wahre Meister ihres Faches zu werden.

Der japanische Holzschnitt hatte gegen Ende der Edo-Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, mit einer Kombination aus technischer Perfektion und künstlerischer Exzellenz seinen Höhepunkt erreicht.

Mit der Öffnung Japans gegenüber westlichen Ländern in den 1850er Jahren brach die Meiji-Zeit an und das Land durchlebte eine Vielzahl von Umbrüchen und Modernisierungen. Für weite Teile der Bevölkerung war es nun zum ersten Mal möglich, sich mit westlicher Kultur auseinanderzusetzen beziehungsweise überhaupt mit ihr in Kontakt zu treten. Im Zuge dessen wurden auch westliche Drucktechniken in Japan eingeführt und die weitverzweigte und spezialisierte Holzschnittindustrie geriet in eine schwere Krise. Der traditionelle Holzschnitt verlor seine Bedeutung.

Gleichzeitig wurden vermehrt japanische Drucke in das europäische Ausland exportiert und stießen dort auf großes Interesse und Bewunderung.

Die Ästhetik und Gestaltungsmittel der japanischen Holzschnitte waren Inspiration und dienten für eine Vielzahl von europäischen Künstlern als ein Ausgangspunkt die fremde Bildsprache in ihren Werken aufzugreifen. Um das Jahr 1860 gelangten die ersten japanischen Holzschnitte nach Paris und wurden dort von westlichen Kunstinteressierten, Sammlern und Künstlern entdeckt, wobei man den hohen künstlerischen Wert schnell erkannte.

Zu den Künstlern gehörten Edgar Degas, Henri de Toulouse-Lautrec, Camille Pissarro und Vincent van Gogh, der japanische Drucke in Öl malte und dabei die Technik des Druckes in die Malerei überleitete. Claude Monet, fasziniert von japanischer Kunst, war nicht nur ein Sammler von Ukiyo-e Drucken, er ließ sich in seinem Garten sogar eine Brücke nach japanischem Vorbild über seinen Teich bauen. Die neue Formen- und Bildsprache erhielt von dem Kunstkritiker Philippe Burty den Namen Japonismus.

Trotz intensiver Auseinandersetzung französischer Künstler mit japanischen Holzdrucken beschäftigte sich in der Anfangszeit des Japonismus niemand direkt mit der Technik des Farbholzschnittes. Obwohl das letzte Viertel des 19. und das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts als goldenes Zeitalter der Druckgrafik in Frankreich gelten, betrifft dies nur die Lithografie und die Radierung.

Der erste Künstler der sich mit dem japanischen Farbholzschnitt in Europa intensiv beschäftigte war der Franzose Henri Rivière. Aufgrund mangelnden Wissens und dem Fehlen von qualifizierten Informationen blieb ihm nur das experimentieren, um sich die nötigen Kenntnisse anzueignen. Er fertigte selber Werkzeuge, mischte Farben, schnitt Holzplatten und besorgte sich Japanpapier. In den Jahren von 1888 bis 1902 fertigte er eine Reihe von Holzschnitten, darunter, in Anlehnung an eines der bekanntesten Werke japanischer Druckkunst, den „36 Ansichten des Berges Fuji“ von Katsushika Hokusai, eine Serie von ebenfalls 36 Ansichten – vom Eiffelturm.

Der erste deutsche Künstler, der einen Farbholzschnitt im Stil japanischer Tradition schuf, war Otto Eckmann. Neben Peter Behrens war auch Emil Orlik ein Wegbereiter des Farbholzschnittes. Letztgenannter konnte vor allem auf seiner Reise nach Japan in den Jahren von 1900 bis 1901 im direkten Austausch vor Ort die Technik des Holzschneidens kennenlernen. In den Jahren um 1907/08 kamen Carl Thiemann, Walther Klemm und Norbertine von Bresslern-Roth in der Dachauer Künstlerkolonie zusammen und beschäftigten sich mit dem Holzschnitt. Auch die Künstler des Blauen Reiter, Wassily Kandinsky, Franz Marc und Heinrich Campendonk nutzten den Holzschnitt als Ausdrucksform und schufen eine Reihe expressionistischer Werke.

In dem Maße wie die Europäer den japanischen Holzschnitt entdeckten, so zeigten japanische Künstler großes Interesse an den unterschiedlichen Ausdrucksweisen westlicher Künstler und reisten zahlreich nach Europa. Mit den neu gewonnen Eindrücken entwickelte sich der japanische Holzschnitt weiter und bildete zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Kunstrichtung, Sōsaku-hanga genannt. Was wörtlich übersetzt „kreativer Druck“ bedeutet. Im Unterschied zu den traditionellen Drucken des Ukiyo-e, die in Arbeitsteilung entstanden, war ein wichtiges Merkmal des Sōsaku-hanga die eigenständige Herstellung der Druckgrafik, unter vollständiger Kontrolle aller Arbeitsschritte durch den Künstler selbst. Angefangen von der Zeichnung, über den Holzschnitt bis hin zum eigentlichen Druck. Der Holzschnitt war nicht mehr nur ein Mittel zur bloßen Reproduktion einer Druckgrafik, sondern diente dem Künstler als Möglichkeit sich selbst und die eigene Persönlichkeit auszudrücken. Die Drucke sind oftmals sehr abstrakt und expressionistisch, brechen stark mit den Konventionen der klassischen Ukiyo-e Darstellungen, sind deutlich von westlicher Kultur beeinflusst und zeigen eine sehr breite Palette kreativer Schaffenskraft der jeweiligen Künstler.

Eine weitere Entwicklung, beziehungsweise Kunstrichtung des Holzschnitts die sich zur selben Zeit herausbildete, war der „neue Druck“, Shin-hanga. Die bewährte Arbeitsteilung aus Künstler, Holzschneider, Drucker und Verleger wurde beibehalten, bei der Gestaltung der Motive diente aber die westliche Malerei als Anregung und Elemente wie dreidimensionale Perspektiven, Schattierungen und Lichteffekte wurden übernommen. Es entstanden modernere, zeitgemäßere Holzschnitte, die moderat den klassischen Holzschnitt im Stile des Ukiyo-e weiterentwickelten. Die Drucke des Shin-hanga waren in Japan allerdings wenig erfolgreich, dafür umso mehr im westlichen Ausland, vor allem in den USA. Aufgrund der Nachfrage aus Übersee richteten sich die Verlage nach dem entsprechenden Geschmack der Interessenten, was sich in den gezeigten Motiven widerspiegelt. Der Fokus lag auf den gängigen Themen und gezeigt wurden Landschaften, Tierdarstellungen, traditionelle japanische Architektur und schöne Frauen. Die künstlerische Ausrichtung der Drucke und Abbildungen zeigen ein nostalgisches und romantisierendes Bild Japans. Die Szenen strahlen oft eine Ruhe und Verträumtheit aus und offenbaren stimmungsvoll die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Denn die Zeichen der Zeit, in den Jahren um 1900 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges, kündigten deutlich große gesellschaftliche Veränderungen an.

Vergleicht man die Entwicklung des japanischen und europäischen Holzschnittes in der Zeit von 1900 bis 1950, zeigt sich ein reger Austausch der unterschiedlichen Formensprachen, eine Erweiterung des Ausdrucks durch das Einbinden eines neuen Stils in das eigene Werk und die gegenseitige Wechselwirkung europäischer und japanischer Künstler. Aus der Verbindung zweier unterschiedlicher Kulturkreise und gesellschaftlicher Entwicklungen, entstand eine neue, gemeinsame visuelle Sprache.

Ein großes Lob und besonderer Dank gilt dem Kunsthaus Kaufbeuren für die Realisierung dieser hervorragenden Ausstellung.

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